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Ich konnte mich nicht enthalten, lachend den Kopf zu schütteln, und fragte:
»Du willst in Stambul Miralai, also Oberst gewesen sein? Bei welcher Truppe?«
»Bei der Garde, du Sohn eines Schakals.«
Ich trat einen Schritt näher zu ihm heran und erhob die Rechte.
»Wage es noch einmal, mich zu schimpfen, so gebe ich dir eine Ssille, das heißt, eine solche Ohrfeige, daß du morgen deine Nase für ein Minaret ansehen sollst! Du wärst mir der Kerl, ein Oberst gewesen zu sein! So etwas darfst du wohl hier deinen Oasenhelden weismachen, nicht aber mir; verstanden!«
Er erhob sich mit ungewöhnlicher Schnelligkeit. Das war ihm noch nie vorgekommen; das ging ihm über alle seine Begriffe; er starrte mich an, als ob ich ein Gespenst sei, und stotterte dann, ich weiß nicht, ob vor Wut oder vor Verlegenheit:
»Mensch, ich hätte sogar Liwa-Pascha werden können, also General-Major, wenn mir die Stelle hier in Kbilli nicht lieber gewesen wäre!«
»Ja, du bist ein wahrer Ausbund von Mut und Tapferkeit. Du hast mit Banditen gekämpft, welche dein Freund mit bloßen Worten besiegte, hörst du es? Er ist also jedenfalls ein sehr guter Bekannter von ihnen gewesen oder gar ein Mitglied ihrer Sippe. Er hat in Algier einen Raubmord begangen; er hat im Wadi Tarfaui einen Mann getötet; er hat auf dem Schott Dscherid meinen Führer, den Vater dieses Jünglings, erschossen, weil er mich verderben wollte; er ist von mir verfolgt worden bis nach Kbilli, und ich finde diesen Menschen wieder als den Freund eines Mannes, der ein Oberst im Dienste des Großherrn gewesen zu sein behauptet. Ich klage ihn des Mordes bei dir an und verlange, daß du ihn gefangen nimmst!«
Jetzt erhob sich auch Abu en Nassr. Er rief:
»Dieser Mensch ist ein Giaur. Er hat Wein getrunken und weiß nicht, was er redet. Er mag seinen Rausch verschlafen und sich dann verantworten.«
Das war mir denn doch zu viel. Im Nu hatte ich ihn gepackt; hob ihn empor und warf ihn zu Boden. Er sprang auf und zog sein Messer.
»Hund, du hast dich an einem Gläubigen vergriffen; du mußt jetzt sterben!«
Mit diesen Worten warf er sich mit aller Gewalt auf mich. Ich aber gab ihm einen so wohlgezielten Faustschlag, daß er niederstürzte und regungslos liegen blieb.
»Faßt ihn!« gebot der Wekil seinen Soldaten, indem er auf mich zeigte.
Ich erwartete, daß sie mich sofort packen würden, sah aber zu meiner Verwunderung, daß es ganz anders kam. Der Unteroffizier nämlich trat vor die Fronte der Seinigen und kommandierte:
»Komyn silahlari – legt die Gewehre weg!«
Alle bückten sich zugleich, legten ihre Flinten auf den Boden und kehrten dann in ihre vorige Haltung zurück.
»Döndürmek sagha – rechts umgedreht!«
Sie machten halbe Wendung rechts und standen nun in einer Reihe hinter einander.
»Gityn erkek tschewresinde, koschyn-iz – nehmt den Mann in die Mitte, marsch!«
Wie auf dem Exerzierplatze erhoben sie den linken Fuß; der Flügelmann markierte »sol – sagha, sol – sagha – links – rechts, links – rechts!« sie marschierten um mich herum und blieben, als der Kreis gebildet war, auf das Kommando des Unteroffiziers stehen.
»Onu tutmyn – ergreift ihn!«
Zwanzig Hände mit gerade hundert braunen, schmutzigen Fingern streckten sich von hinten und vorn, von rechts und links nach mir aus und faßten mich am Burnus. Die Sache war zu komisch, als daß ich eine Bewegung zu meiner Befreiung hätte machen mögen.
»Dschenabin-iz, bizim – war herifu – Hoheit, wir haben den Kerl!« meldete der Oberstkommandierende der tapfern Truppe.
»Brakyn-jok onu tekrar azad – laßt ihn nicht wieder frei!« gebot der Statthalter mit strenger Miene.
Die hundert Finger krallten sich noch fester und tiefer in meinen Burnus als vorher, und gerade die steife, orientalische Würde, mit der das alles geschah, und die etwas urkomisch Marionettenhaftes hatte, war schuld, daß ich beinahe laut aufgelacht hätte.
Während dieses Vorganges hatte sich Abu en Nassr wieder erhoben. Seine Augen funkelten vor Wut und Rachgier, als er zum Wekil sagte:
»Du wirst ihn erschießen lassen!«
»Ja, er soll erschossen werden; vorher aber werde ich ihn verhören, denn ich bin ein gerechter Richter und mag niemand ungehört verurteilen. Bring deine Anklage vor!«
»Dieser Giaur,« begann der Mörder, »ging mit einem Führer und seinem Diener über den Schott; er traf auf uns und stürzte meinen Gefährten in die Fluten, so daß dieser elend ertrinken mußte.«
»Warum tat er dies?«
»Aus Rache.«
»Wofür wollte er sich rächen?«
»Er hat im Wadi Tarfaui einen Mann getötet; wir kamen dazu und wollten ihn festnehmen, er aber entwischte uns.«
»Kannst du deine Worte beschwören?«
»Beim Barte des Propheten!«
»Das ist genug! – Hast du diese Worte vernommen?« fragte er mich dann.
»Ja.«
»Was sagst du dazu?«
»Daß er ein Schurke ist. Er war der Mörder und hat in seiner Anklage die Personen geradezu verwechselt.«
»Er hat geschworen, und du bist ein Giaur. Ich glaube nicht dir, sondern ihm.«
»Frage meinen Diener! Er ist mein Zeuge.«
»Er dient einem Ungläubigen; seine Worte gelten nichts. Ich werde den großen Rat der Oase einberufen lassen, der meine Worte hören und über dich entscheiden wird.«
»Du willst mir nicht glauben, weil ich ein Christ bin, und schenkst dennoch einem Giaur dein Vertrauen. Dieser Mensch ist ein Armenier und also kein Moslem, sondern ein Christ.«
»Er hat beim Propheten geschworen.«
»Das ist eine Niederträchtigkeit und eine Sünde, für die ihn Gott bestrafen wird. Wenn du mich nicht hören willst, so werde ich ihn beim Rate der Oase verklagen.«
»Ein Giaur kann keinen Gläubigen verklagen, und der Rat der Oase könnte ihm nicht das Geringste tun, denn mein Freund besitzt ein Bu-Djeruldu und ist also ein Giölgeda padischahnün, einer, der im Schatten des Großherrn steht.«
»Und ich bin ein Giölgeda senin kyralün, einer, der im Schatten seines Königs wandelt. Auch ich habe ein Bu-Djeruldu; du hast es in deiner Tasche.«
»Es ist in der Sprache der Giaurs geschrieben; ich würde mich verunreinigen, wenn ich es läse. Deine Sache wird noch heute untersucht werden; zunächst aber erhaltet ihr die Bastonnade: du fünfzig, dein Diener sechzig und dein Führer zwanzig Hiebe auf die Fußsohle. Führt sie hinab in den Hof; ich werde nachkommen!«
»Alykomün elleri – nehmt die Hände zurück!« gebot sofort der Unteroffizier.
Die hundert Finger ließen augenblicklich von mir ab.
»Alyn-iz tüfenkleri – hebt die Flinten auf!«
Die Helden stürzten auf ihre Gewehre zu und nahmen sie wieder an sich.
»Wirmyn hep – ütsch – umschließt alle drei!«
Im Nu hatten sie mich, Halef und Omar umringt. Wir wurden hinaus in den Hof geführt, in dessen Mitte sich ein bankartiger Block befand. Seine Beschaffenheit deutete darauf hin, daß er zur Aufnahme derjenigen bestimmt sei, welche die Bastonnade erhalten sollten.
Weil ich selbst mich ruhig gefügt hatte, waren auch meine beiden Gefährten ohne allen Widerstand gefolgt, aber ich sah es in ihren Augen, daß sie nur auf mein Beispiel warteten, um der Posse ein Ende zu machen.
Als wir eine Weile vor dem Blocke gehalten hatten, erschien der Wekil mit Abu en Nassr. Der Schwarze trug den Teppich vor ihnen her, breitete ihn auf dem Boden aus und reichte, als sie sich gesetzt hatten, ihnen Feuer für ihre ausgegangenen Pfeifen. Jetzt deutete der Wekil auf mich.
»Wermyn ona elli – gebt ihm Fünfzig!«
Jetzt war es Zeit.
»Hast du mein Bu-Djeruldu noch in der Tasche?« fragte ich ihn.
»Ja.«
»Gib es mir!«
»Du wirst es niemals zurückerhalten!«
»Warum?«
»Daß sich kein Gläubiger daran verunreinigen kann.«
»Du willst mich wirklich schlagen lassen?«
»Ja.«
»So werde ich dir zeigen, wie es ein Nemsi macht, wenn er gezwungen ist, sich selbst Gerechtigkeit zu verschaffen!«
Der kleine Hof war an drei Seiten von einer hohen Mauer und an der vierten von dem Gebäude umschlossen; es gab keinen andern Ausgang als denjenigen, durch welchen wir eingetreten waren. Zuschauer gab es nicht; wir waren also drei gegen dreizehn. Die Waffen hatte man uns gelassen, so erforderte es der ritterliche Gebrauch der Wüste; der Wekil war völlig unschädlich, ebenso auch seine Soldaten, und nur Abu en Nassr konnte gefährlich werden. Ich mußte ihn vor allen Dingen kampfunfähig machen.
»Hast du eine Schnur?« fragte ich Omar leise.
»Ja; meine Burnusschnur.«
»Mache sie los!« Und gegen Halef fügte ich hinzu: »Du springst zum Ausgang und lässest keinen Menschen durch!«
»Verschaffe sie dir!« hatte indessen der Wekil geantwortet.
»Sogleich!«
Mit diesen Worten sprang ich ganz plötzlich zwischen den Soldaten hindurch und auf Abu en Nassr zu, riß ihm die Arme auf den Rücken und drückte ihm das Knie so fest auf den Nacken, daß er sich in seiner sitzenden Stellung nicht zu rühren vermochte.
»Binde ihn!« gebot ich Omar.
Dieser Befehl war eigentlich überflüssig, denn Omar hatte mich sofort begriffen und war bereits dabei, seine Schnur um die Arme des Armeniers zu schlingen. Ehe nur eine Bewegung gegen uns geschehen konnte, war er gefesselt. Mein plötzlicher Angriff hatte den Wekil und seine Leibwache so perplex gemacht, daß sie mich ganz konsterniert anstaunten. Ich zog jetzt mit der Rechten mein Messer und faßte ihn mit der Linken am Genick. Er streckte vor Entsetzen Arme und Beine von sich, als ob er bereits vollständig tot sei; desto mehr Leben aber kam in die Soldaten.
»Hatschyn, aramin imdadi – reißt aus, bringt Hilfe!« brüllte der Onbaschi, der zuerst die Sprache wiedergefunden hatte.
Sein Säbel wäre ihm hinderlich geworden, er warf ihn weg und rannte dem Ausgange zu; die andern folgten ihm. Dort aber stand bereits der wackere Halef mit schußfertigem Gewehre.
»Geri; durar-siz bunda – zurück! Ihr bleibt hier!« rief er ihnen entgegen.
Sie stutzten, wandten sich um und sprangen nach allen vier Richtungen auseinander, um Schutz in den Mauerecken zu suchen.
Auch Omar hatte sein Messer gezogen und stand mit finsterem Blick bereit, es Abu en Nassr in das Herz zu stoßen.
»Bist du tot?« fragte ich den Wekil.
»Nein, aber du wirst mich töten?«
»Das kommt auf dich an, du Inbegriff aller Gerechtigkeit und Tapferkeit. Aber ich sage dir, daß dein Leben an einem dünnen Haare hängt.«
»Was verlangst du von mir, Sihdi?«
Noch ehe ich antwortete, erscholl der angstvolle Ruf einer Weiberstimme. Ich blickte auf und bemerkte eine kleine dicke, weibliche Gestalt, welche vom Eingange her mit möglichster Anstrengung auf uns zuge–kugelt kam.
»Tut – halt!« rief sie mir kreischend zu. »Oeldirme onu; dir benim kodscha – töte ihn nicht; er ist mein Mann!«
Also diese dicke, runde Madame, welche unter ihrer dichten Kleiderhülle mit wahrhaft schwimmähnlichen Bewegungen auf mich zusteuerte, war die gnädige Frau Statthalterin. Jedenfalls hatte sie von dem mit einem Holzgitter versehenen Frauengemache aus der interessanten Exekution zusehen wollen und zu ihrem Entsetzen bemerken müssen, daß dieselbe jetzt an ihrem Ehegatten vollzogen werden solle. Ich fragte ihr ruhig entgegen:
»Wer bist du?«
»Im kary wekilün, ich bin das Weib des Wekil,« antwortete sie.
»Ewet, dir benim awret, gül Kbillinün – ja, sie ist mein Weib, die Rose von Kbilli,« bestätigte ächzend der Statthalter.
»Wie heißt sie?«
»Demar-im Mersinah – ich heiße Mersinah,« berichtete sie.
»He, demar Mersinah – ja, sie heißt Mersinah,« ertönte das Echo aus dem Munde des Wekil.
Also sie war die »Rose von Kbilli« und hieß Mersinah, d.i. Myrte. Einem so zarten Wesen gegenüber mußte ich nachgiebig sein.
»Wenn du mir die Morgenröte deines Antlitzes zeigst, o Blume der Oase, so werde ich meine Hand von ihm nehmen,« sagte ich.
Sofort flog der Jaschmak, der Schleier, von ihrem Angesichte. Sie hatte lange Zeit unter den Arabern gelebt, deren Frauen unverhüllt gehen, und war also weniger zurückhaltend geworden, als unter andern Verhältnissen die Türkinnen sein müssen. Uebrigens handelte es sich hier, wie sie dachte, um das kostbare Leben ihres Eheherrn.
Ich blickte in ein farbloses, mattes, verschwommenes Frauenangesicht, welches so fett war, daß man die Augen kaum und das Stumpfnäschen beinahe gar nicht unterscheiden konnte. Madame Wekil war vielleicht vierzig Jahre alt, hatte aber die Folgen dieses Alters durch hochgemalte, schwarze Augenbrauen und rot angestrichene Lippen zu paralysieren gesucht. Zwei schwarze, mittels einer Kohle je auf der Mitte der Wange hervorgebrachte Punkte gaben ihr ein pittoreskes Aussehen, und als sie jetzt die Vorderarme aus der Hülle streckte, bemerkte ich, daß sie nicht bloß die Nägel, sondern auch die ganzen Hände mit Henna rot gefärbt hatte.
»Ich danke dir, du Sonne vom Dscherid!« schmeichelte ich. »Wenn du mir versprichst, daß der Wekil ruhig sitzen bleibt, soll ihm jetzt kein Leid geschehen.«
»Kaladschak-dir – er wird sitzen bleiben; ich verspreche es dir!«
»So mag er es deiner Lieblichkeit danken, daß ich ihn nicht zerdrücke wie eine Indschir, wie eine Feige, die in der Presse liegt, um getrocknet zu werden. Deine Stimme gleicht der Stimme der Flöte; dein Auge glänzt wie das Auge der Sonne; deine Gestalt ist wie die Gestalt von Scheherezade. Nur dir allein bringe ich das Opfer, daß ich ihn leben lasse!«
Ich nahm die Hand von ihm; er richtete sich auf, indem er erleichtert stöhnte, blieb aber gehorsam in seiner sitzenden Stellung. Sie betrachtete mich sehr aufmerksam vom Kopfe bis zu den Füßen herab und fragte dann mit freundlichem Tone:
»Wer bist du?«
»Ich bin ein Nemsi, ein Fremdling, dessen Heimat weit drüben über dem Meere liegt.«
»Sind eure Frauen schön?«
»Sie sind schön, aber sie gleichen doch nicht den Frauen am Schott El Kebihr.«
Sie nickte, befriedigt lächelnd, und ich sah es ihr an, daß ich Gnade vor ihren Augen gefunden hatte.
»Die Nemsi sind sehr kluge, sehr tapfere und sehr höfliche Leute, das habe ich schon oft gehört,« entschied sie. »Du bist uns willkommen! Doch warum hast du diesen Mann gebunden; warum fliehen unsere Soldaten vor dir, und warum wolltest du den mächtigen Statthalter töten?«
»Ich habe diesen Mann gebunden, weil er ein Mörder ist; deine Soldaten flohen vor mir, weil sie merkten, daß ich sie alle besiegen würde, und den Wekil habe ich gebunden, weil er mich schlagen und dann vielleicht sogar zum Tode verurteilen wollte, ohne mir Gerechtigkeit zu geben.«
»Du sollst Gerechtigkeit haben!«
Da wollte sich mir die Ueberzeugung aufdrängen, daß der Pantoffel im Oriente dieselbe zauberische Kraft besitzt, wie im Abendlande. Der Wekil sah seine Autorität bedroht und machte einen Versuch, sie wieder herzustellen:
»Ich bin ein gerechter Richter und werde – — —«
»Sus-olmar-sen – du wirst schweigen!« gebot sie ihm. »Du weißt, daß ich diesen Menschen kenne, der sich Abu en Nassr, Vater der Sieger, nennt; er sollte sich aber Abu el Jalani, Vater der Lügner, nennen. Er war schuld, daß man dich nach Algier schickte, grad als du Mülasim werden konntest; er war schuld, daß du dann nach Tunis kamst und hier in dieser Einsamkeit vergraben wurdest, und so oft er hier bei dir war, mußtest du etwas tun, was dir Schaden brachte. Ich hasse ihn, ich hasse ihn und habe nichts dagegen, daß dieser Fremdling hier ihn tötet. Er hat es verdient!«
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